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Der Pietismus in Württemberg – eine schwäbische Besonderheit

Württemberg – vom Herzogtum zum Königreich

Als der Pietismus im 17. Jahrhundert aufkam, war Württemberg ein Herzogtum. Die BürgerInnen hatten den Dreißigjährigen Krieg hinter sich, kämpften immer wieder an verschiedenen Fronten und wurden schließlich in die Auswirkungen der Französischen Revolution verwickelt. Die Zeit war geprägt von Angst und Gewalt. Nach dem Frieden mit den Franzosen 1802 wurde Altwürttemberg – zu dieser Zeit flächendeckend lutherisch – durch katholische Nachbargebiete ergänzt. Kurfürst Friedrich II. errichtete einen gemischtkonfessionellen Staat. Vier Jahre später wurde das Herzogtum Württemberg zum Königreich.

Spener führt Bibelkreise ein

Parallel zu den „weltlichen“ Veränderungen entwickelte sich in Württemberg sowie in anderen evangelischen Kirchen Deutschlands der Pietismus. Mit dem Wort „Pietisten“ wurden „die Frommen“ anfangs abfällig bezeichnet, später übernahmen sie den Begriff selbst. Die Pietisten forderten eine Erneuerung der Frömmigkeit, die ihrer Ansicht nach durch die Kriege abhandengekommen war. Sie riefen zu Liebe statt Selbstsucht und Frieden statt Krieg auf. Einer der bekanntesten Vertreter des 17. Jahrhunderts war der Frankfurter Pfarrer Phillip Jakob Spener. Spener forderte die Verbreitung der Bibellehre, er wollte, dass die Menschen sich selbst mit der Bibel befassten, sie studierten und nicht nur im Gottesdienst davon hörten. Er richtete Gesprächsgruppen ein (spätere Hauskreise) und ermutigte die Menschen zu einer praktischen Ausrichtung des Christentums. Dabei ging es ihm u.a. um Praxisorientierung im Theologiestudium sowie Predigten, die den Glauben förderten und nicht der Belehrung dienten. Seine Schrift „Pia Desideria“ (Fromme Wünsche) fand in Württemberg großen Zuspruch.

Die Konfirmation wird eingeführt

An vielen Orten in Württemberg entstanden Bibel- und Gebetskreise im privaten Raum, auch Kindergottesdienste wurden organisiert und erhielten großen Zulauf. Es zeigte sich, dass die Menschen über die Bibel und den Glauben sprechen und als Kirchenmitglieder ernstgenommen werden wollten. Die Pietisten empfanden das persönliche – und bewusste – Bekenntnis zum Glauben als wichtig.

Mit der Reform des Glaubensunterrichts und den Schriften Speners befasste sich auch Johann Andreas Hochstetter. Hochstetter war Professor der Theologie in Tübingen und setzte sich in den 1690er-Jahren für die Einführung der Konfirmation ein (vom Lateinischen confirmatio = Bestätigung, Bekräftigung). Diese war in Deutschland zwar bekannt, aber kaum verbreitet. Hochstetter entwickelte eine Liturgie, bei der die Segnung der Jugendlichen im Mittelpunkt stand, nicht die Glaubensprüfung. 1723 wurde die Konfirmation schließlich offiziell in Württemberg eingeführt, ihr ging ein zweijähriger Unterricht voraus. Die Regelung, dass die Jugendlichen ab diesem Zeitpunkt ein Patenamt übernehmen durften, ist bis heute erhalten geblieben.

Der Pietismus als Teil der Landeskirche

Als sich die ersten Hauskreise in Württemberg bildeten, waren private Versammlungen mit religiösem Hintergrund grundsätzlich verboten. Erst 1743 wurden im Rahmen des „Pietisten-Reskripts“ die Hauskreise offiziell von der Kirchenleitung zugelassen. Der Besuch des Gottesdienstes blieb weiterhin Pflicht. Mit dieser Zusage ebnete man den Weg, um den Pietismus zu einem festen Teil der württembergischen Landeskirche zu machen – was er tatsächlich bis heute geblieben ist.

In anderen Regionen Deutschlands hingegen separierten sich die Pietisten von den Landeskirchen und bildeten eigene Gemeinschaften. Dies blieb auch in Württemberg nicht aus, jedoch machte die separatistische Bewegung einen eher kleinen Teil aus. Manche Gemeinschaften (darunter radikale Gruppen) verließen das Land, suchten in Amerika, Australien oder Palästina ihr Glück; andere wiederum blieben und kooperierten mit der Landeskirche. Die Stellung des Pietismus in der Landeskirche selbst und das Miteinander mit (externen) pietistischen Gemeinschaften ist seit 1743 im Kirchenrecht geregelt und wurde 1993 erneut bestätigt.

Nachwirkungen des Pietismus

Der württembergische Pietismus beeinflusst bis heute kirchliche und weltliche Entwicklungen. Unter anderem führte die starke biblische Prägung des Pietismus dazu, dass sich 1812 die Württembergische Bibelanstalt gründete. Aus dieser entstand später die Deutsche Bibelgesellschaft, die jährlich rund 500.000 Bibeln verteilt und ihren Sitz in Stuttgart hat. Weiterhin war dem Pietismus stets am christlich-jüdischen Dialog gelegen. In der NS-Zeit verhalfen württembergische Christen verfolgten Juden zur Flucht in die Schweiz, nach dem Krieg unterstützten sie die Israelarbeit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. Die Pietisten prägten auch das Unternehmertum in Württemberg, da sie sich früher als andere evangelische Strömungen weltlichen Angelegenheiten zuwandten. Der pietistische Pfarrer Philipp Matthäus Hahn aus Kornwestheim wurde etwa als „Mechaniker-Pfarrer“ bekannt. Der Pietismus wirkte sich ebenso auf die Politik aus. Männer und Frauen hatten in ihren Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaften gelernt, den Mund aufzumachen und Verantwortung zu übernehmen. Sie besetzten politische Ämter und stärkten den demokratischen Gedanken in Württemberg.

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